Wenn das Wunschkind von einer Behinderung bedroht ist

Gespräch mit Frauke Zottmann-Neumeister, Schwangerschaftsberaterin bei der Diakonie in Düsseldorf.

Frau Zottmann-Neumeister, seit vielen Jahren sind Sie in einer kirchlich getragenen Schwangerschafts- und Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle tätig. An wen richtet sich ihr Beratungsangebot und wie geschieht die Beratung?

Zottmann-Neumeister: Unser Beratungsangebot richtet sich an Frauen, die im Konflikt stehen, sich für das Austragen ihres Kindes oder für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden zu müssen. Im Gegensatz zu anderen Beratungsstellen haben wir den Eindruck, dass zu uns oft Frauen kommen, die noch nicht wissen, wie sie sich entscheiden sollen. Einige haben diese Entscheidung aber schon getroffen und brauchen nun Begleitung und Hilfe.

Geht es in diesen Gesprächen manchmal auch um Fragen der pränatalen Diagnostik?

Z.-N.: Ja, das kommt manchmal vor. Frauen kommen zu uns, nachdem die Diagnostik erfolgt ist und ihnen gesagt wurde, dass das Kind eventuell von einer Behinderung oder Krankheit bedroht ist. Es sind leider nur wenige Frauen, die diese Beratung suchen, weil das Gesetz eine solche Beratung nicht vorschreibt.

Können Sie diesen Konflikt einmal beschreiben, in dem die Frauen stehen, wenn sie zu Ihnen kommen?

Z.-N: Es handelt sich hier meistens um Frauen, die in einer festen Partnerschaft leben, wo beide Partner dieses Kind gewünscht hatten und zunächst sehr glücklich über die Schwangerschaft gewesen waren. Sie hatten sich auf das Kind gefreut. Oft wird die pränatale Diagnostik den Frauen von den Ärzten fast aufgedrängt, ohne auf die Wichtigkeit einer psychosozialen Beratung schon vor der Diagnostik hinzuweisen.

Wir wünschen uns, dass viele Frauen und Paare schon vor der Fruchtwasseruntersuchung unsere Beratung suchen, um entscheiden zu können: Wollen wir diese Untersuchung? Wie gehen wir mit ihrem Ergebnis um?

Welche Fragestellungen werden in der Beratung bearbeitet?

Z.-N: Die Frau fragt sich, ob sie es verantworten kann, dieses Kind zur Welt zu bringen. Traut sie es sich zu, mit einem möglicherweise behinderten Kind zu leben?

Bei Erkrankungen geht es z.B. auch um die Schuldgefühle, dem Kind etwas vererbt, etwas mitgegeben zu haben, was das Kind einschränkt, behindert und ihm möglicherweise Leiden verursacht. Die Mutter fühlt sich für dieses Schicksal verantwortlich.

Mütter bzw. Eltern stehen vor der Gewissensfrage, die Schwangerschaft abzubrechen, weil sie sich überfordert fühlen, ein krankes oder behindertes Kind großzuziehen – oder das Kind auszutragen, auch wenn es krank oder behindert sein wird. Und ich betone noch einmal: Es sind häufig Eltern, die sich jahrelang ein Kind gewünscht und manchmal schon gar nicht mehr mit der Schwangerschaft gerechnet haben. Und dann kommt die Diagnose, dass das Kind vielleicht behindert ist. Das ist wirklich ein fast unmenschlicher Konflikt.

Dabei ist doch das Leid oder das Glück des Kindes prognostisch nur schwer einzuschätzen, oder?

Z.-N: Es gibt aber bestimmte Erkrankungen, bei denen Kinder sehr leiden. Ich glaube, es gibt für Eltern nichts Schlimmeres als mitzuerleben, dass ihr Kind Schmerzen hat, unglücklich ist und die Eltern nicht helfen können. Und dann fragt sich die Mutter, ob sie zu diesem Leid beigetragen hat, weil sie trotz ungünstiger Diagnose dieses Kind zur Welt bringen wollte.

Wissen Sie, ich finde es manchmal grausam, dass Eltern diese schwere Entscheidung treffen müssen. Und oft stehen die Frauen damit alleine. Sie stehen in einem so enormen Gewissenskonflikt und fühlen sich in jedem Fall schuldig. Es ist eigentlich ein kaum lösbares Problem. Wir versuchen, den Frauen zu helfen, indem wir mit ihnen sprechen, das Für und Wider abwägen und sie psychisch etwas entlasten. Aber die Entscheidung können wir ihnen nicht abnehmen. Als Beraterin fühle ich mich in solchen Situationen manchmal sehr hilflos.

Hinterher, wenn sich die Frau in die eine oder andere Richtung entschieden hat, ist es leichter, sie zu begleiten. Wenn sie sich für einen Abbruch entschieden hat, können wir ihr helfen, die Trauer zu bearbeiten. Wenn sie sich für einen Abbruch entschieden hat, können wir ihr helfen, die Trauer zu bearbeiten. Wenn sie sich zum Austragen ihres Kindes entschieden hat, können wir ihr Hilfe anbieten, Kontakte vermitteln und z.B. dazu beitragen, dass sie sich rechtzeitig über Selbsthilfegruppen und medizinische Angebote informiert.

Sie sprachen eben von der Hilflosigkeit der Beraterinnen in dieser Konfliktsituation. Sie sind dann ja ganz nahe an dem Empfinden der betroffenen Frauen. Wie bewältigen Sie das emotional?

Z.-N: Ja, ich habe manchmal Probleme, mich gefühlsmäßig ausreichend abzugrenzen. Ich bin ja auch eine Frau und Mutter und fühle mich sehr ein in die Frau, die meine Beratung sucht. Um wirklich helfen zu können, ist es allerdings notwendig, wieder die erforderliche Distanz herzustellen. Dazu helfen mir auch kollegiale Beratung, therapeutische Fortbildungen sowie Supervision.

Wenn Sie an diesen umfangreichen Fragenkomplex der pränatalen Diagnostik denken, was wünschen Sie sich dann von den betroffenen Frauen und von deren Männern?

Z.-N: Vor allem wünsche ich mir, dass sie offen sind zuzuhören, Beratung anzunehmen, damit wir gemeinsam abwägen können, was für die eine oder andere Entscheidung spricht. Ich wünsche mir auch, dass sie sich darauf einlassen, einmal gemeinsam in die Zukunft zu schauen, sich vorzustellen, wie sie eventuell ihr Leben mit einem behinderten oder kranken Kind gestalten und welche Hilfen sie in ihrer Umgebung aktivieren können.

Von den Männern wünsche ich mir, dass sie an dem Beratungsprozess teilnehmen. Es ist sehr wichtig, dass beide Partner kommen, weil beide gemeinsam diese Entscheidung treffen und anschließend auch tragen müssen. In der Regel sind mehrere Gespräche notwenig, und dazwischen müssen die Partner die Möglichkeit haben, sich auch alleine darüber auszutauschen.

Was wünschen Sie sich von den Ärztinnen und Ärzten?

Z.-N: Oft vermisse ich bei Ärzten das notwendige Einfühlungsvermögen für die Situation der betroffenen Frauen. Ich wünsche mir, dass Ärzte und Ärztinnen Eltern bereits vor der pränatalen Diagnostik auf die Möglichkeit eines Beratungsgespräches in einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle hinweisen. Unabdingbar sollte dies aber erfolgen, wenn sich herausgestellt hat, dass das Kind wahrscheinlich behindert oder krank sein wird. Es wäre auch gut, wenn die Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinnen auch auf Selbsthilfegruppen in der Region hinwiesen.

Träger Ihrer Beratungsstelle ist die Diakonie. Was wünschen Sie sich von diesem Träger, von unseren Kirchen in Bezug auf diese Fragestellungen?

Z.-N: Es gibt bereits umfangreiche Hilfeangebote für Familien mit behinderten oder kranken Kindern. Doch könnten diese Angebote durchaus noch ergänzt werden. Eltern behinderter oder kranker Kinder brauchen zwischenzeitlich dringend Entlastung, um wieder Kraft zu schöpfen, sei es durch eine Tagesbetreuung für das behinderte Kind, einen Babysitterdienst, eine vorübergehende Unterbringung in einer Kurzzeitpflegefamilie während Urlaubszeiten oder Erkrankung der Eltern. Hier bietet sich auch für unseren Träger noch ein breites Betätigungsfeld. Ich bin jedoch der Ansicht, dass auch Kirchengemeinden vor Ort gefragt sind. Sie können zur Akzeptanz dieser Familien beitragen und deren Belastungen mittragen. Familien mit behinderten und kranken Kindern sollten von unseren Gemeinden viel mehr wahrgenommen werden. Ein Babysitterdienst oder Patenschaften für behinderte Kinder könnten gut in den Gemeinden angeboten werden.

Und wie sieht es mit der Gesellschaft aus?

Z.-N: Ich denke, dass unsere Gesellschaft behinderten Menschen gegenüber schon viel offener geworden ist. Es gibt integrative Kindergärten und Schulen. Und doch gibt es auch immer wieder Ausgrenzung und Abwehr. ich betreue z.B. eine Pflegefamilie, in der zwei Kinder mit Down-Syndrom leben. Wenn die Familie mit diesen Kindern in die Stadt oder in den Urlaub fährt, bekommen die Eltern oft negative Bemerkungen zu hören, dass es verantwortungslos sei, zwei behinderte Kinder in die Welt zu setzen. Ich kann mir vorstellen, dass es aufgrund der fortschreitenden Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik vermehrt ablehnende Reaktionen behinderten Kindern gegenüber geben wird und die Eltern noch mehr ausgegrenzt werden.

Haben Frauen, die zu Ihnen in die Beratung kommen, Angst vor solchen gesellschaftlichen Reaktionen?

Z.-N: Ja! Oft äußern sie Angst vor Isolation, vor Vorurteilen und vor Ausgrenzung. Finanziell kommen sie jetzt ganz gut klar. Doch wie wird es sein, wenn ihr behindertes Kind eine aufwendige, schwierige Pflege oder teure Hilfsmittel braucht?

Franke Zottmann-Neumeister ist Diplom-Sozialarbeiterin und Leiterin des Referates Besondere Dienste in der Diakonie in Düsseldorf. Zu diesem Referat gehört auch die Schwangerschaftskonfliktberatung. Frau Zettmann-Neumeister steht seit 1981 in dieser Beratungsarbeit und ist Vorsitzende des Arbeitskreises „Beratung in Fragen des § 218 StGB in der Evangelischen Kirche im Rheinland“.

Mit Frauke Zottmann-Neumeister sprach Volker Krolzik